“Herzlich willkommen bei Canis Humanus, schön dass Sie den Weg zu uns gefunden haben. Ich bin Zita - wie heißen Sie?” Mit einer persönlichen Begrüßung und einem festen Händedruck an der Eingangstür zu einem unscheinbaren Mietshaus in der Faßziehergasse 5a beginnt dieser Abend. Die Frage nach dem Weg in den Zuschauerraum und zum Sitzplatz erübrigt sich damit auch sehr schnell. Eingeladen zu diesem Tag der offenen Tür in der Wohngemeinschaft “Canis Humanus” ist zwar nur wer ein Ticket bei den Wiener Festwochen erworben hat, aber das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit mit einem “klassischen” Theaterabend. Denn hier wird heute kein Hamlet herumgeistern, kein Gretchen befragt und kein Woyzeck in den Wahnsinn getrieben. Nein, hier wird das 40jährige Jubiläum einer ganz besonderen Kommune gefeiert. 

 (c) Erich Goldmann

Foto: "Wir Hunde / Us Dogs" im Zuge der Wiener Festwochen, c Erich Goldmann

 

Plüschtraum für Oma und Hund

Wie besonders, das wird schon bei der Eröffnungsrede im Gemeinschaftssaal klar. Der große Raum sieht nach "Schöner Wohnen" anno 1975 aus: Ein Plüschtraum im Farbschema Curry-Fleischrosa. Garniert mit Feinheiten wie einem lebensgroßen Porzellanhuskey und mannshohen Fotodrucken von flauschigen Welpen. Es könnte sich um eine edle Seniorenresidenz handeln, die die besten Jahre schon hinter sich hat. Wenn man einmal von den Bewohnern absieht: Den Hundschen. Für diese Hunde in Menschenkörper wurde das Wohnprojekt Canis Humanus ursprünglich gegründet. Halb Hund, halb Mensch beschnüffeln sie einen fleissig, während man seinen Willkommensdrink schlürft. Da regt sich dann schon so etwas wie Widerstand in einem. Schauspieler die auf allen Vieren krabbeln, knurren und einem das Brötchen von der Serviette klauen, während sie Ihren Kopf an den Beinen der Gäste reiben - geht´s noch? Fluchtinstinkte stellen sich ein. Fünf Stunden bei diesen irren “Künstlern”? Sicher nicht. 

 

Mensch oder Hundsch

Doch dann wird man schon einer Gruppe zugeteilt und in eine der Wohnungen geführt um mit den Bewohnern zu plaudern. Erster Stop ist die Familie Marmelstein im Erdgeschoß. Margo Marmelstein serviert Kaffee. Und alle Fluchtinstinkte sind beseitigt. Hier muss man nicht stillhalten und die Klappe halten, hier kann man auf eigene Faust eine entrückte Welt erkunden und ihre Protagonisten stundenlang mit Fragen löchern. Die Grenze zwischen Realität und Wirklichkeit ist verwischt. Die Werkstätten und Archive des Volkstheater, die hier normalerweise ihren Platz haben, kann man ob all der gut gefüllten Regale und detailreich eingerichteten Kuschelecken beim besten Willen nicht rekonstruieren. Diese Welt ist so dicht gewebt, der Versuch sie durch Blicke "hinter die Kulissen" oder aufmüpfige Fragen zum Einstürzen zu bringen, muss erfolglos bleiben. Egal wie blöd die Frage auch ist - man bekommt immer schlüssige Antworten, die die letzten Zweifel besiegen.

 

Wer geht mit Mama Gassi?

Tamara Marmelstein etwa erzählt mir ihre gesamte Lebensgeschichte. Sie hat den größten Teil ihrer Jugend bei Canis Humanus verbracht und hat auch nicht vor auszuziehen. Denn ihre Mutter “Kika” ist ein Hundsch. Die konnte sich nicht um ihre beiden Töchter kümmern. Über eine Zeitungsannonce hätten sie vom Projekt Canis Humanis erfahren, das Sigbert Graf Trenck von Moor ins Leben gerufen hat. Dem Grafen geht es nach einem Schlaganfall  nicht mehr so gut - er empfängt seine Besucher in einem riesengroßen kreisrunden Bett liegend und berichtet von den Anfangstagen der Gemeinschaft. Mit jedem Gespräch fügt sich ein weiteres Puzzleteilchen in das große Epos von Menschen, Hunden und Hundschen ein, die von dem österreich-dänischen Performace-Kollektiv SIGNA erzählt wird. 

 

"Wir Hunde / Us Dogs" im Zuge der Wiener Festwochen, c Erich Goldmann

 

"Wind of Change" auf Hundisch

Im Laufe des Abends wird man immer neugieriger, plaudert zwanglos, beginnt sich wohlzufühlen und will am Ende am Liebsten einziehen. Aber bitte nicht bei Kalthofs. Wieland Kalthof, der eine Vorliebe für junge Mädchen und Accessoires in Busenform hat, lässt einen schaudern. Mit seiner insistierenden, ruhigen Art bringt er jeden Besucher seiner Wohnung dazu, das Glaubensbekenntnis der Hundsche zu sprechen und ewige Treue für die Belange von Canis Humanus zu schwören. Besonders effektiv, wenn man noch eingelullt vom vorigen Programmpunkt “Musik zum Träumen und Trauern” ist - wo die Hundsche-Folk-Version von “Wind of Change” auf die Tränendrüse gedrückt hat. Dass, das was Wieland mit seinen hübschen Hundschen Cookie, Lady und Sweety treibt, vielleicht nicht ganz ok sein könnte, dämmert einem dann erst nachdem man kurz nach Mitternacht händehaltend im Chor “Ich liebe dich” gehaucht hat. 

 

Lass uns einziehen!

Doch dass dieses Erlebnis bei den Wiener Festwochen etwas ganz Großes ist, dieses Gefühl ist untrüglich und manifestiert sich spätestens in dem Moment, als man am kommenden Tag für zwei weitere “Vorstellungen” Tickets kauft. Schließlich vermisst man seinen Lieblingshundsch. Und hatte man Frau Saborowski nicht versprochen, ihr eine dickere Häkelnadel zu besorgen? In einem Interview mit dem Falter im vergangenen Jahr, sagte der damalige Festwochen-Schauspielchef Stefan Schmidtke, dass die spannendste Kunstform derzeit das Theater sei, weil hier der Besucher nie wissen könne, was ihn wirklich erwarte. “Wir Hunde/Us Dogs” ist ein Paradebeispiel für diese schöne These. Denn wer erwartet schon, dass sich hinter den Türen eines etwas heruntergekommenen Zinshaus im ordentlichen Wien-Neubau eine Parallelwelt, die spannender als jeder Abenteuerspielplatz ist, verbirgt? Eben. 

 

"Wir Hunde/ Us Dogs" läuft noch bis 18. Juni bei den Wiener Festwochen (in Koproduktion mit dem Volkstheater). Studententickets gibt es für 19,50 Euro an den Tageskassen. An der Abendkasse im Museumsquartier gibt es ab einer Stunde vor Vorstellungsbeginn bei Verfügbarkeit verbilligte Restkarten um 8 Euro.

 

Header- und Einleitungsbild: "Wir Hunde / Us Dogs" im Zuge der Wiener Festwochen, c Erich Goldmann

 

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Kultur, 16.10.14