Die österreichische Musikszene lebt und atmet und hat sich selten so vielfältig angefühlt wie in diesem Jahr. Wir bekamen tobende und leidende, beklagende und hinterfragende Klänge zu hören. Solche, die uns auf die Tanzfläche, in den Moshpit, ins Beisl oder ins Wiener Konzerthaus zogen. Die uns nachts begleiteten, wenn wir voller euphorischer Ekstase unsere Runden um den Opernring drehten, dabei „Anything Goes“ in die Nacht hineinriefen, nur um uns letztlich morgens verkatert und allein im 15. Bezirk wiederzufinden.
Aus dieser Vielfalt haben wir für euch 7 Wiener Musik-Releases ausgewählt, die uns das Jahr 2023 besonders versüßt haben.
BIBIZA – „Wiener Schickeria“
Man nehme Rap als Basis her, reichert diesen mit einem überaus originellen Mix aus Post-Punk-Elementen, einer Pop-Eingängigkeit und Indie-Rock an. Abgeschmeckt wird das Ganze mit einer arroganten Falco-Attitüde und einer gehörigen Ladung an Wien-Energie. Herauskommt der frisch gebackene Shooting Star der österreichischen Musikszene. BIBIZA ist sein Name und „Wiener Schickeria“ das Album, das ihn in diesem Jahr wohl endgültig aufs Radar eines internationalen Publikums brachte. Völlig zurecht, wie wir finden.
Panik Deluxe – „without hope I am nothing“
„I sway between euphoria and the apocalypse“ singt die aufstrebende Musikerin Panik Deluxe an einer Stelle auf ihrem Debütalbum und könnte damit die Tonalität dieses Werks nicht passender beschreiben. Irgendwo zwischen der melancholischen Zerbrechlichkeit einer Elena Tonra (Daughter, Ex:Re) und dem durchdringenden Elektro-Exzess von Crystal Castles verortet, möchte man sich hier schluchzend im Stroboskoplicht in den Armen liegen, nur um direkt anschließend in tanzender Ausgelassenheit aufzugehen.
Bipolar Feminin – „Ein fragiles System“
„Fick dich ins Knie, Elbphilharmonie!“. Auf ihrem Debütalbum singen Bipolar Feminin gegen Patriachat, Kapitalismus, Optimierungswahn und Spießigkeit an.
Textlich tun sie dies eher verspielt, erinnern dabei an das Wesen der Hamburger Schule. Ein Vergleich, der nicht so fernzuliegen scheint – so wird mit „Herr Arne“ sogar ein eigenes Lied dem Tocotronic-Schlagzeuger Arne Zank gewidmet. Die kraftvolle Stimme von Frontfrau Leni Ulrich sticht dabei zweifellos hervor, treibt diese mal wütend-einreißenden, mal traurig-beklagenden, mal sonnigeren Stücke voran.
Wir sind gespannt, was da in den nächsten Jahren noch so kommen mag!
Pauls Jets – „Anything Goes“
Die Suche nach etwas Beständigem und Schönem in einer Zeit, in der so wenig beständig und schön scheint. Junge Liebe als ein fragiles Konstrukt, welches die eigene Welt einnimmt und täglich aufs Neue das Potential hat, diese untergehen zu lassen. Pauls Jets meldeten sich in diesem Jahr mit einem Song zurück, der diese Stimmungsbilder in sich vereint, der sanft instrumentiert ist und durch den Gesang von Bassistin Romy Jakovcic nur noch an emotionaler Tragweite dazugewinnt.
CULK – „Generation Maximum“
Die Post-Punk-Band CULK spricht auf ihrem vielleicht bisher besten Album Dinge an und aus, die einer ganzen Generation unter den Fingernägeln brennen. Dabei gelingt ihr eine selten gehörte Balance aus poetischen und prägnanten Texten, aus Ausbruch und Verharren, aus Schwermut und Selbstreflexion. Thematisch geht es hierbei um uns, eine Generation am Maximum. Gelähmt zwischen dem Aufbegehren und dem Ausbrennen, den unbegrenzten Möglichkeiten und dem unbegrenzten Erwartungsdruck einer Leistungs-, Konsum- und Vergleichsgesellschaft.
Bilderbuch – „Softpower“
Ob nun der träumerische Gitarrenpop von „Gelb ist das Feld“, die Hip-Hop-Beats und das „skrrt skrrt“ von „mea culpa“ oder das noch vergleichsweise geerdete Indie-Rock-Frühwerk – Bilderbuch bestechen auf jedem Release mit frischen Facetten ihrer Kunst. Genau das lässt sich auch über die „Softpower“-EP sagen, mit welcher uns die lässigste Band Wiens im vergangenen Sommer mitreißende Drum-and-Bass-Anleihen um die Ohren schlug.
Leftovers – „Müde“
Auf ihrem neuesten Album bringt die Wiener Gruppe Leftovers wunderbar brachiale Ansätze unter („System“), die an Hardcore-Größen wie Refused erinnern. Kombiniert wird dies mit Post-Punk-Einwürfen („15. Bezirk“) und Texten, die mal schwermütig, mal punkig-rotzig daherkommen – wobei auch immer wieder Ansätze einer tristen Gegenwartsbetrachtung aufblitzen. Wenn man während dem Hören dann denkt: „Puh, das ist alles schon ziemlich spannend und abwechslungsreich und geil.“, dann gesellen sich auch noch eingängige Mitgröl-Banger wie „Es tut weh“ dazu, bei denen man sich am liebsten sofort in einer tobenden Konzertmenge wiederfinden würde.