Unterstützung kann auch unkompliziert sein

Vor allem den jüngeren Generationen wird häufig nachgesagt, dass sie einen stark ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit haben und sich immer offenkundiger für mehr Fairness in der Gesellschaft einsetzen. Die einen machen via soziale Medien auf Geschehnisse aufmerksam, andere gehen für ihre Überzeugungen mit bunten Schildern auf Demos. Allerdings hört man ebenso oft, dass viele gar keine Zeit haben sollen, um sich in irgendeiner Form für den guten Zweck zu engagieren, obwohl sie das gerne tun würden. Klar, jeder hat sein Päckchen zu tragen, aber so kostspielig und zeitaufwändig, wie sich viele die Unterstützung von Benachteiligten vorstellen, muss sie aber überhaupt nicht sein. Beispielsweise könnte man bewusstere Entscheidungen im Alltag treffen. Wie wär's mit Essen für den guten Zweck?


Lokale mit Fokus auf gesellschaftlichen Mehrwert statt Gewinnmaximierung

In den letzten Jahren haben sich in Wien einige Locations etabliert, die gesellschaftliche Probleme mit innovativen Business-Konzepten bekämpfen möchten. In vielen dieser Social Business-Betrieben werden gezielt Langzeitarbeitslose wie Geflüchtete, Obdachlose, Pensionisten oder ehemalige Gefängnisinsassen beim schwierigen Einstieg in einen neuen Lebensabschnitt begleitet und gefördert. Mit einer professionellen Ausbildung durch qualifizierte Fachkräfte soll Arbeitssuchenden, die zuvor schlechte Karten auf dem Arbeitsmarkt hatten, der Weg in ein festes Dienstverhältnis erleichtert werden. Gleichzeitig soll das Zusammenbringen von Personen mit unterschiedlichen Backgrounds dazu beitragen Vorurteile effektiv abzubauen. Der Grundgedanke hinter den Social Business-Projekten verdeutlicht, dass Gastronomie nicht nur Gewinn, sondern auch Menschlichkeit und soziale Verantwortung maximieren kann.

 

Wo man in Wien mit gutem Gewissen essen gehen kann 

Habibi & Hawara

Wipplingerstraße 29, 1010 Wien

Ein besonders erfolgreicher Social Business-Hotspot ist das orientalisch-österreichische Lokal „Habibi & Hawara“. Seit 2016 arbeiten hier Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund mit Österreichern zusammen. Passend zum Kulturen-Mix findet man hier auf der Speisekarte Baklava und Brathendl. Ziel ist es den Mitarbeitern nicht bloß einen Arbeitsplatz zu verschaffen, sondern ihnen durch professionelle Ausbildung eine unternehmerische Perspektive zu ermöglichen. Um einen Einblick in den Entstehungsprozess des Konzepts zu erhalten und zu verdeutlichen, wie Social Business-Ideen die Schicksale von Mitarbeitern tatsächlich beeinflussen, habe ich mich mit Katha Schinkinger, Teilhaberin und Co-Initiatorin von „Habibi & Hawara“ und Majd Bashour, HR Operations Managerin des Restaurants unterhalten. Majd Bashour musste vor einigen Jahren nach Österreich flüchten. In einem Kurzinterview erklärt die hochqualifizierte Frau, wie frustrierend ihre Suche nach einem Arbeitsplatz hierzulande tatsächlich war.

Über die Geburt einer Social Business-Idee

Katha Schinkinger, die seit Beginn an Bord war verrät, dass die Grundidee von „Habibi & Hawara“ im Jahr 2015, im Rahmen der großen Fluchtbewegung, entstanden ist. Sie hat gemeinsam mit ihrer Freundesgruppe die zivilgesellschaftliche Initiative „Hosten statt Posten“ gestartet. In der Stadtflucht Bergmühle, einem Grünareal im Weinviertel, wurden Geflüchtete von ihnen herzlich zum Essen und Plaudern eingeladen. Sie hatten genug davon, dass viele ihren Frust über die Lage der Geflüchteten ausschließlich auf sozialen Medien verbreitet haben und nicht aktiv Hilfe leisten wollten. Es ging ihnen bei der Aktion insbesondere darum den Dialog zwischen Österreichern und Geflüchteten zu fördern. Dabei wurden auch schon erste Jobs, Deutschkurse und Unterkünfte vermittelt. Durch die Gespräche wurde immer klarer, dass Menschen mit viel Potenzial nach Österreich gekommen waren und diese Tatsache genutzt werden sollte. Laut Studien dauert es im Durchschnitt circa fünf Jahre bis Geflüchtete in Österreich einen guten Job finden und genau das wollten Katha Schinkinger und ihre Freude mit ihrer Social Business-Idee „Habibi & Hawara“ ändern.


Kurzinterview mit Majd Bashour, HR Operations Managerin von „Habibi & Hawara“

Bitte stell dich kurz vor!
Ich wurde in Syrien geboren und habe in Damaskus gelebt, bevor ich wegen dem Krieg nach Österreich flüchten musste. Insgesamt habe ich 19 Jahre Berufserfahrung. 15 Jahre davon habe ich für eines der zwei größten Telekommunikationsunternehmen in Syrien gearbeitet und war im Bereich Kundenservice und HR tätig. Ich war die erste weibliche Führungskraft in der Firma und war für circa 400 Mitarbeiter verantwortlich. Ich habe einen postgradualen Universitätslehrgang in Romanistik (Französisch mit dem Schwerpunkt Dolmetschen) und ein Bachelorstudium der Romanistik an der Universität Damaskus absolviert. Außerdem habe ich ein Zertifikat für bildende Kunst und bereits ich an mehreren Kunstausstellungen teilgenommen.

Wie viel Zeit ist vergangen bis du in Österreich einen Arbeitsplatz gefunden hast?
Ich lebe seit viereinhalb Jahren hier und habe trotz meiner langjährigen Berufserfahrung und meinem akademischen Background erst vor einigen Monaten, und zwar bei „Habibi & Hawara“, meine ersten feste Arbeitsstelle als HR Operation Managerin gefunden. Das war ein Meilenstein in meiner Karriere, sowie in meinem Leben in Österreich. Ich war so unfassbar glücklich darüber endlich wieder arbeiten zu können. Das Team von „Habibi & Hawara“ weiß, dass das Geheimnis des Lebens das Geben ist. Es geht darum, wie man das Leben der Menschen um einen herum verbessern kann und das haben sie bei mir geschafft. Davor habe ich ohne zu übertreiben eine Absage nach der anderen erhalten. Jedes Mal hieß es :„Es tut uns leid, aber wir haben schon jemand anderen für die Stelle. Viel Erfolg noch bei der Suche.“ Die Jahre ohne Arbeit waren unfassbar frustrierend. Erst „Habibi & Hawara“ hat mir die Chance gegeben, um mein Wissen und meine Fähigkeiten auch in Österreich nutzen zu können.

Dein Ratschlag?
Nie aufgeben! Ich weiß das klingt leichter gesagt als getan, aber mit Fleiß und ein wenig Glück wird sich irgendwann die passende Gelegenheit ergeben. Man darf auch nicht unterschätze wie wichtig es ist Kontakte zu knüpfen, da man so vielleicht unerwartet Unterstützung bei der Jobsuche  bekommt.

 

Inigo

Bäckerstraße 18, 1010 Wien 

Den  sozialökonomischen Betrieb „Inigo“ gibt es seit den 90er Jahren. Er ist somit der Wiener Pionier in diesem Bereich. Das Lokal hat sich darauf spezialisiert langzeitarbeitslosen Frauen und Männern, wie ehemalige Obdachlose, Senioren, Geflüchtete oder auch ehemalige Gefängnisinsassen, mittels einer befristeten Beschäftigung, beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Gleichzeitig helfen Sozialarbeiter bei der Bewältigung von persönlichen Problemen wie Schulden, Krisen in der Familie oder einer unsicheren Wohnsituation.

 

Lokal mittendrin

Währinger Str. 19, 1090 Wien

Das „Lokal mittendrin“ ist Teil des Sozialprojekts „VinziRast-mittendrin“. Hier arbeiten und wohnen seit 2013 ehemalige Obdachlose gemeinsam mit Studierenden. Ziel ist es Menschen, die von der Gesellschaft jahrelang nur am Rande wahrgenommen wurden bei ihrem schwierigen Neuanfang zu begleiten und sie vor erneuter sozialer Ausgrenzung zu schützen. Durch den engen Kontakt mit Studierenden sollen außerdem hartnäckige Vorurteile gegenüber Obdachlosigkeit abgebaut werden.

 

Vollpension

Johannesgasse 4a, 1010 Wien, Schleifmühlgasse 16, 1040 Wien

In der „Vollpension“ arbeiten seit 2015 Pensionisten gemeinsam mit jungen Leuten zusammen und versorgen die Gäste mit Mehlspeisen, die „wie direkt aus Omas Küche“ schmecken sollen. Dieses Social Business-Konzept zielt darauf ab gegen Einsamkeit und Altersarmut vorzugehen. Die Arbeit soll dementsprechend nicht nur für mehr finanzielle Sicherheit sorgen, sondern wird außerdem als eine Art Kommunikations-Katalysator zwischen unterschiedlichen Generationen betrachtet.

 

Mit Alltagsentscheidungen helfen statt aus der Distanz zu bemitleiden

Sich öfter für soziale Gastronomie zu entscheiden wird jetzt nicht die Welt retten, da müsste schon mehr passieren. Man muss realistisch bleiben, aber dennoch verändern Social Business-Lokale die persönliche Lebenswelt von Mitarbeitern und das sollte als Ansporn reichen. Chancengleichheit ist und bleibt in der Realität nur eine Wunschvorstellung. Jeder der sich im Alltag nicht um seine Existenz sorgen muss, hat im Grunde schon in der Lotterie des Lebens gewonnen und könnte damit anfangen sozial Benachteiligte nach oben zu ziehen und sie nicht nur aus der Distanz zu bemitleiden.

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Freizeit, 17.1.24