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Tschocherl-Tour durch Wien

Genug von hippen Bars? Wir haben sechs echte Wiener Tschocherl getestet – vom gemütlichen Beisl bis zum urigen Stammlokal
Autor:in
Theresa Ziegler
07.10.2017

Nach unzähligen Abenden in shabby-chicen Lokalen mit unverputzten Wänden hast du Lust auf ein bisschen echten Grind? Wir haben für euch sechs Tschocherl getestet – vom zugänglichen Refugium bis hin zum Alkoholiker-Treff.

Regel Nummer eins fürs Planen einer Tschocherl-Tour: Nicht nach Öffnungszeiten googeln! Da die echte Wiener Saufkultur ausschließlich analog stattfindet, kann man sich auf Angaben von einschlägigen Recherche-Seiten nicht verlassen. Neben dieser Erkenntnis haben wir auf Tour noch vieles über Tschocherl gelernt. Unsere sechs Stationen, gerankt nach Ranzigkeit (aufsteigend).

Wunderbar

Schönlaterngasse 8, 1010 Wien

Die Wunderbar im ersten Bezirk gilt immer noch als sogenannter Geheimtipp. Nicht zuletzt, weil kein Schild oder gastrotypischer Eingangsbereich darauf hinweist, dass sich hier eine Bar mit Rundtheke befindet. Auch der Name Wunderbar war für uns nirgends im Lokal zu finden (zumindest mit bereits drei Spritzern intus, die das Sichtfeld beeinträchtigen). Abgesehen von dieser Mystik ist die Wunderbar allerdings ein sehr zugängliches und von mittelalten und jungen Intellektuellen gleichsam geliebtes Lokal, das nahezu noch als Beisl bezeichnet werden kann.

Charmant: Die Eck-Couchen aus Leder.

Ranzig: Der Sauerstoffgehalt am Existenzminimum.

Cafe U1

Taubstummengasse 17, 1040 Wien

Von einem Tschocherl, das direkt an der U-Bahn liegt, würde man eigentlich furchteinflößendes Klientel erwarten. Das U1 in der Taubstummengasse ist allerdings ein kleines Fleckchen Trinkkultur für komplett durchgemischtes Publikum, das sich aus Menschen zusammensetzt, die U1 fahren. Den Platz in unseren Herzen hat das Cafe U1 aber durch seine Taferl-Sprüche verdient, die jeden Tag zwischen Dadaismus und T-Shirt-Parolen wechseln.

Charmant: Die Andre-Agassi-Biografie im Bücherregal.

Ranzig: Das dunkle Damenklo.

Cafe Bendl

Landesgerichtsstraße 6, 1010 Wien

Bei keiner Tschocherl-Tour darf das Bendl fehlen – der kleinste gemeinsame Nenner für alle, die Wien verstehen (wollen). Ein Klassiker für Philosophen, Arbeiter und alles dazwischen. Während wir im Bendl Halt machten, zogen wir uns eine Schnittverletzung zu und wurden, wie hier üblich, mit Bierdeckeln beworfen, dazu lief drei Mal hintereinander „Paloma Blanca“ aus der Jukebox. Als Entschädigung wählten wir danach selbst Nummer 908: Falco – Urban Tropical.

Charmant: Das eigene System der Kellnerin, Bestellungen zu notieren.

Ranzig: „Das freie Ausspucken ist behördlich verboten“.


Cafe Voodoo

Siebensterngasse 35, 1070 Wien

Das nächste Café, das kein Café ist, nennt sich Voodoo, ist eine Tschocherl-Institution und kontrolliert, durch ganzjährige Grusel-Auslage, den Einlass seiner Kunden, bezüglich innerer Härte. Spätestens seit dem Cover des Debütalbums von Voodoo Jürgens trauen wir uns aber eh hinein. Drinnen präsentiert sich das Cafe nämlich weitaus weniger voodooesk und besticht eher durch Leoparden-Muster und die vergilbt-beklebten Wände. Bei einem von der Bierkarte gewählten halben Liter fragt man sich, ob der Zeitungsausschnitt von Lady Diana wohl noch zu ihrer Lebzeit aufgehängt wurde.

Charmant: „Das 4. Buch Voodoo“, ein Comic, der die Geschichte des Tschocherls erzählt.

Ranzig: Die Auslage.



Fredi’s Feuerhalle

Margaretenstraße 97, 1050 Wien

Margaretener Urgestein und Stammlokal seines Einzugsgebiets – Fredi und seine Feuerhalle sind für viele Feiern Pflichtstation. An den Wänden hängen überdurchschnittlich viele sportliche Auszeichnungen, was der Feuerhalle zusätzlich den Charakter eines ländlichen Fußball-Vereinsheims verleiht. Noch beeindruckender, als die sportlichen Leistungen, fanden wir nur die Spirituosen-Wand, an der alle gängigen alkoholischen Trinkbarkeiten abfüllbereit zur Verfügung stehen.

Charmant: Unschuldige Ö3-Untermalung.

Ranzig: Auffallen als Neu-Gast.


Glashütte

U-Bahn-bogen 181, 1180 Wien

In die Glashütte verirrt sich niemand, hier regiert der Stammgast. Um unseren Status als Neuankömmlinge zu rechtfertigen, mussten wir uns bei der digitalen Juke-Box namens „Touch DJ“ mehrere Songs wünschen. Die Enttäuschung war groß, als wir nicht Nockalm Quintett wählten, wozu zuvor beschwingt Disco Fox getanzt wurde. Weiters wurden wir mit kritischem Tonfall gefragt, ob wir gebürtig Wienerinnen seien, während sich draußen der erste übergab. Trotz allem oder gerade deswegen ist die Glashütte der Tipp für authentische Tschocherl-Kultur galore.

Charmant: Fliesen mit Jagdreiter-Motiven.

Ranzig: Kommunikative Alkoholiker.


Auch super für eine Beisl-Tour: der Sturzflug.


Fotos: (c) Theresa Ziegler

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