Girls Edition
Wir schreiben das Jahr 2005. Vor fast drei Monaten bist du mit zwei Studienkolleginnen in eine WG gezogen. Leider kannst du dein neues Leben in Freiheit nicht mehr genießen, denn durch die Corona-Krise und den damit zusammenhängenden Ausgangsbeschränkungen seid ihr seit Wochen fast nur noch zuhause.
„Schnappi“ oder Stille
Dein Handywecker klingelt so laut, dass du beinahe aus deinem Bett fällst und mit dem Fuß eines deiner geliebten Avril Lavinge-Poster von der Wand reißt. Irgendwo zwischen diesen sieben Blümchen-Polstern muss es doch sein. Gefunden! Du klappst dein Handy auf und beendest damit diesen ohrenbetäubenden Horror. Du schaust kurz auf den Bildschirm: Kein Anruf in Abwesenheit, keine neue SMS. Tja, in Krisenzeiten muss man eben überall sparen, auch beim Guthaben. Du stehst auf und schlüpfst in deinen rosa „Juicy Couture“-Jogginganzug aus Samt und spazierst in die Küche. Deine Mitbewohnerinnen schlafen noch. Du brauchst etwas Musik und drehst das Küchenradio auf. Du bereust diese Entscheidung sofort, da auf dem Hit-Sender schon wieder „Schnappi, das kleine Krokodil“ läuft. Du rufst: „Oh Gott, dieses Lied ist schlimmer als die Quarantäne!“ Abschalten kommt trotzdem nicht in Frage, da du deinen MP3-Player seit gestern nicht mehr finden kannst und dein PC leider Ewigkeiten zum Hochfahren braucht. In der totalen Stille zu frühstücken ist fad, also lässt du die „Schnappi“-Qualen über dich ergehen und hoffst inständig, dass danach „Hollaback Girl“ von Gwen Stefani oder „Pon de Replay“ von dieser Newcomerin Brihanna (oder so) an der Reihe sind. Weil heute nicht dein Tag ist, läuft stattdessen natürlich „Durch den Monsun“ von Tokio Hotel.
58-Sekunden-Gespräche und coole Ed Hardy-Schutzmasken
Naja, was soll's, deine Laune ist ohnehin schon im Keller, da du die Wohnung seit Tagen nicht verlassen hast. Hey, jemand ruft endlich an. Okay, es ist deine Mutter. Sie rät dir, sofort Klopapier einkaufen zu gehen, da es in fast allen Supermärkten bereits ausverkauft ist. Sie fügt hinzu:„ Ich habe dir heute morgen außerdem ein Plastiksackerl mit ein paar Magazinen und der coolen Ed Hardy-Schutzmaske, die jetzt alle tragen, vor die WG-Tür gelegt!“ Nach 58 Sekunden legt ihr auf. (Bloß nicht über eine Minute kommen, wenn's nicht wichtig ist.) Du beschließt heute also einkaufen zu gehen. Außerdem gibt es sowieso nur noch „Center Shock“-Kaugummis und Brause-Ufos zu Essen. Aus der Küchenschublade holst du ein leeres Blatt Papier heraus und schreibst mit deinem blauen Federpüschel-Stift die Einkaufliste, die du anschließend ordentlich zusammenfaltest und in deine Geldbörse legst.
Die Angst vor dem Virus, dem anderen Virus
Bevor du dich in die Außenwelt hinauswagst, suchst du deinen MP3-Player noch ein letzter Mal und findest ihn schließlich in deiner „Eastpak“-Bauchtausche. Du versuchst dir noch schnell illegal neue Lieder mit „LimeWire“ herunterzuladen. Wer zahlt heutzutage schon für Musik? Leider musst du dich hierbei zusätzlich vor einem anderen Virus bzw. anderen Viren fürchten. „LimeWire“ ist eben wie Russisches Roulette mit dem Computer spielen. Glück gehabt. „Hollaback Girl“ und „Pon De Replay“ sind endlich auf dem MP3-Player!
Mit ausreichend Glitzer zum Supermarkt rollen
Nur noch umziehen und etwas aufbrezeln, damit wieder etwas Normalität in den Alltag einkehrt. Die sportliche senfgelbe Hüfthose und die hellgrüne Glitzer-Bolero-Jacke? Ja, das passt gut zusammen! Noch etwas Bodyspray auf die Jacke sprühen, um nach Wassermelone und Zitrone zu duften. Jetzt die Haare (ohne Hitzeschutz, denn was ist Hitzeschutz?) zu Tode glätten, etwas Wimperntusche auftragen, viel zu dunkles Mousse Make-up mit den Händen auf dem Gesicht verteilen und natürlich etwas Glitzer-Gloss auf die Lippen schmieren, fertig. Schnell in die bequemen Ugg Boots schlüpfen, die Ed Hardy-Maske anlegen und mit dem gelben Tretroller zum Supermarkt fahren.
Persönlichkeitstests aus Magazinen, MTV und Harry Potter-DVD-Abende
Wieder zuhause angekommen, kochst du für euch alle Instant-Nudeln. Nebenbei blätterst du die Magazine auf dem Küchentisch durch. Du und deine Mitbewohnerinnen beginnt aus Langweile abwechselnd seltsame Fragen zu beantworten, um herauszufinden welche „Charmed“-Hexe und welcher Olsen Twin ihr seid. Normalerweise schaut ihr um diese Uhrzeit „Pimp My Ride“ auf MTV und ärgert euch über die nervtötenden „Jamba“-Werbeunterbrechungen. Momentan wollen sie allen den „It's Corona Time“- Klingelton andrehen. Das bleibt dir und deinen Mitbewohnerinnen allerdings erspart. Der Fernseher lässt sich nämlich nicht einschalten und das obwohl ihr heute wieder einmal die ersten drei „Harry Potter“-Teile bingen wolltet. In der Quarantäne-Zeit kommt ihn auch niemand reparieren. Ihr fragt euch, ob die Quarantäne Ende des Jahres vorbei sein wird und ihr den vierten Teil rechtzeitig im Kino schauen könnt. Ihr wollt unbedingt wissen, wie es weitergeht.
Festnetz-Notrufe und MSN-Unterhaltungen wegen „O.C., California“
Dein Handy klingelt wieder. Dieses Mal ist es nicht deine Mutter, sondern deine beste Freundin. Sie fragt dich, ob du die heutige „O.C., California“-Folge gesehen hast, was du nicht getan hast, weil dein Fernseher kaputt ist. „WAS? Marissa wäre in Tijuana fast gestorben? Na toll, die Folge sehe ich erst, wenn die DVD bei uns erhältlich ist!“, sagst du ganz aufgewühlt. Sie meint: „Ja schon, aber eben nur fast. Die würden doch nie im Leben eine der Hauptfiguren umbringen!“ und versucht die gesamte Episode für dich mit allen Details wiederzugeben. Plötzlich hörst sie nicht mehr. Es wird ja immer besser. Ihr Guthaben scheint verbraucht zu sein und du selbst hast auch nur noch ein paar Euro Guthaben übrig, also rufst du heimlich über das Festnetztelefon an, das eigentlich nur für Notfälle gedacht ist, aber das ist ein Notfall! Deine geizigen Mitbewohnerinnen erwischen dich und bitten dich das Gespräch auf MSN fortzuführen. Deine beste Freundin ist natürlich schon online und erzählt dir, was du heute im Fernsehen sonst noch verpasst hast, da du dich ohne Fernseher noch isolierter fühlst.
Schade, dass es keine Video-Plattform gibt auf der man Serien und Filme zu jeder Zeit auf dem PC schauen kann und das ohne sich Viren einzufangen. Bevor du offline gehst, änderst du den Text in deiner Statusleiste noch auf „CoRona SuCks“ um. Eine andere Möglichkeit, um deine Meinung mit deinen Freunden zu teilen, gibt es ja nicht. Wobei in Amerika sprechen alle über dieses „MySpace“ aber das nutzt hier keiner. „Mal sehen, wie sich die Welt in 15 Jahren verändert. Sicher haben die es in so einer Situation leichter als wir.“, denkst du dir.
Jetzt bist du eigentlich doch ganz froh über deine Situation? Hier trotzdem noch 52 Dinge, die dich jetzt glücklich(er) machen!