Schrauben statt Schuhe

Ecke Neubaugasse Burggasse: Eigentlich die perfekte Lage für den nächsten Bobo-Concept-Store. Doch zum Glück befindet sich hier schon seit 190 Jahren die Firma Petzolt. Die braucht man auch viel dringender als das hundert-und-erste Fetzengeschäft. Man bekommt hier nämlich von einer einzelnen Schraube bis zum meterlangen Kupferrohr so ziemlich alles. Und was nicht passt, wird in der angeschlossenen Werkstatt von den Mitarbeitern gleich an Ort und Stelle kostenlos passend gemacht. Für Architektur-Studenten und Hobby-Bastler ist der Laden daher ein echter Geheimtipp. Hier gibt es viele Modellbau-Utensilien zu günstigeren Preise als bei den Spezialgeschäften rund um die TU.

 

Zwei Ritter am Bauernhof

Bei alteingesessenen Wienern ist das von außen etwas heruntergekommene Eck-Geschäft (auch Puber hat sich an der Fassade verewigt!) unter dem Beinamen "Zu den zwei Rittern" bekannt. Woher der Spitzname kommt? Hier soll einmal ein Wehrbauernhof gestanden haben, vor dem eben zwei Ritter zum Schutze des  Kuhdorfs  namens "Wien" patroullierten. So erzählte es zumindest die Großmutter der heutigen Eigentümerin Christine DelMonte-Petzolt. Doch diese war eine legendäre Geschichtenerzählerin, und so lässt sich nicht sagen was daran wahr und was bloß gut erfunden ist. Fakt ist: Bis heute bewachen zwei kleine Ritter über der Eingangstür das Geschäft und ein Ritteremblem ziert seit jeher das Logo der Firma. 

Alles archiviert

Viele der alten Warenkataloge und Geschäftsbücher hat Frau DelMonte-Petzolt in ihrem Archiv über dem Geschäft aufbewahrt. Und so kann man sehen, was sich über die Jahre geändert hat und was absolut gleichgeblieben ist: Bunsenbrenner und Lötkolben sehen heute genauso wie vor fast zweihundert Jahren aus. Nur beim Umgang mit dem Personal ist man heute wohl nicht mehr so streng: Bis Anfang der Dreißigerjahre war es absolut normal über jeden Mitarbeiter Buch zu führen. Feinsäuberlich in Kurrentschrift und mit Portraitfotos versehen, wurden seitenweise Charakterstudien voll mit harten Urteilen angefertig: "Ein ordentlicher Lausbub, sehr unerzogen.", liest man da etwa. Oder "Einfaches Gemüt, aber fleissig und zuverlässig." Schließlich wollten die Petzolts immer genau wissen, wen sie sich ins Familiengeschäft holten. Die meisten Mitarbeiter blieben dann auch ihr ganzes Berufsleben lang.

 

Nachfolger gesucht!

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Viele der heute fünfzehn Angestellten haben hier schon Ihre Lehre absolviert. Noch immer werden ein bis zwei kaufmännische Lehrlinge pro Jahr ausgebildet. Die unerwartet vielen Beschäftigten resultieren aus dem für den Privatkunden unsichtbaren Großverkauf, der dreiviertel des Umsatzes ausmacht. Hinter den Verkaufsräumen liegen große Lager die bis an die Decke mit Buntmetallen gefüllt sind. Ein wichtiger Teil des Geschäfts ist auch der Online-Shop den es seit einigen Jahren gibt und der siebenhundert Neukunden pro Jahr beschert. Das Geschäft floriert also, doch trotzdem könnte es sein, dass in Bälde doch noch ein Bobo-Geschäft hier einzieht: Denn Anfang nächsten Jahres geht Frau DelMonte-Petzolt in Pension. Nachwuchs wäre zwar vorhanden, doch die drei Kinder leben in den USA und haben mit dem Metallgeschäft nichts am Hut. Die Nachfolge ist also noch ungeklärt. Doch weitergehen soll es unbedingt, wenn es nach der Besitzerin geht. Denn es wäre schon ziemlich tragisch, wenn die zwei Ritter nach so vielen Jahren ihren Dienst quittieren müssten. 

 

Faktenblatt

Gründungsjahr: 1825
Mitarbeiter:
15
Für die anstehende Festivalsaison:
Campingkocher um 28,85€
Falls die nächste WG-Sause etwas wilder ausfällt: Abflussreiniger um 8,40€
Für die unbeliebtesten Mitbewohner: Lebend-Mausefalle "Luna" um 10,55€
Gibt es nur hier: Sofort-Zuschneideservice für alle lagernden Buntmetalle
Auch nicht schlecht: Fahrradschlösser in allen Sicherheitsstufen und Preislagen

 

Hier geht's zum 2. Teil der Serie: Messer-Spezialist LORENZI in der Siebensterngasse!

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