Die Josefstadt ist der kleinste Bezirk Wiens und als Wohnort pragmatisierter Beamter verschrien, die hier ihren spießigen Lebensabend verbringen. Ganz falsch ist das nicht: Der achte Hieb ist jener Wiener Bezirk in dem die meisten Bürgermeister Wiens wohnten und auch HeiFi, unser liebster Bundespräsident a.D. logiert hier gemeinsam mit Gattin Margit. Doch die Josefstadt hat viel mehr in petto als Hofratswitwen die beim Billa "Zweite Kassa" brüllen.
So ist etwa die Josefstädterstraße eine belebte Flaniermeile die bisher von den großen internationalen Ketten verschont blieb und auf der "Einheimische" alle Geschäftsleute mit Vornamen kennen. Auf der Straße, die die "2er-Linie" mit dem Gürtel verbindet, gibt es zudem kaum Leerstände und man bekommt von der einzelnen Schraube, über vegane Schuhe bis zu hausgemachter Pasta, alles was das Herz begehrt.
Steckbrief Josefstädterstraße
Urschön: Die Alte-Löwen-Apotheke auf der Nummer 25 - von innen wie von außen.
Skurril: Die Auslage des (meist geschlossenen) "Bonbon Museum" auf Nummer 30 - bekannt in der ganzen Josefstadt durch Besitzer Michael "Schoko Michi" Reimer, der mit seinen aufsehenerregenden Hutkreationen schon Gast in so manchem Trash-TV-Format war und ein Sprößling der legendären Tortendekor-Manufaktur SÜWAG im 15. Bezirk ist.
Geht immer: Einen Blick in den offenen Bücherschrank hinterm Würstelstand Ecke Josefstädterstr./Skodagasse werfen.
Hier unsere liebsten Plätze auf der mittleren Josefstädterstraße:
Verde 1080
Josefstädterstraße 27
Das Verde 1080 ist halb Feinkost-Greißler und halb Stehrestaurant. Besitzer Stefan ist nicht nur angenehmer Zeitgenosse und fantastischer Koch, sondern auch Seismograph für Essenstrends. In seinem Lokal gab es die nun ubiquitäre Kichererbsenpaste schon lange bevor die Neni-Buben "Humus" buchstabieren konnten. Und an seinen haushohen Burgern feilte er schon Jahre vor dem Hype - manche sagen, es sind die besten der Stadt.
Aktuell besonders beliebt ist hier (und bald wohl überall) das Southern Buttermilk-Chicken. Falls du dich nicht entscheiden kannst: Am besten zu dritt oder viert kommen und sich in kleinen Häppchen einmal von Stefan durch die Karte und um die Welt führen lassen. Ansonsten ein Bier aus der riesigen (!) Auswahl an Craft-Beers trinken und dann blind auf die Karte zeigen.
Cafésalon
Josefstädterstraße 30
Die knallig-orange 70er-Jahre Leuchtschrift des Cafésalons hat Indizwirkung. Die Rezepturen der feinen Brötchen und Suppen haben sich schon Jahrzehnte nicht verändert - genauso wenig wie Kundschaft, Einrichtung und Personal. Das Etablissement mit dem schmalen Eingang eignet sich perfekt um sich tagelang hinter einer Zeitung zu verstecken und dem Wien von Gestern nachzuweinen. Und falls du dich verzweifelt nach einer Bestimmung sehnst: Der Cafésalon sucht seit einiger Zeit nach einem neuen Pächter.
Kurkonditorei Oberlaa
Josefstädterstraße 31
Die Kurkonditorei Oberlaa ist die Teflon-Variante des Cafésalons: Hier ist alles ein bisschen heller und neuer und die fliederfarbenen Föhnwellen der ehrenwerten Kundschaft sitzen einen Tacken besser. Besonders empfehlenswert ist die Mousse-au-Chocolat-Torte in deren spiegelglatter Oberfläche sich schon so mancher Narzisst auf immer verlor.
Muso Koroni
Josefstädterstraße 33
Das Geschäft ist nach einer westafrikanischen Göttin benannt, die der Legende nach alle Pflanzen und Tiere dieser Welt erschaffen hat. Der lebensbejahende Name steht zurecht Pate: Alle hier verkauften Waren sind vegan (und stammen größtenteils von Firmen die ausschließlich tierfrei produzieren), jede Verpackung wird recycelt und der Webserver des schicken Online-Shops wird ausschließlich mit erneuerbarer Energie betrieben.
Im Store auf der Josefstädterstraße findest du eine große Auswahl an veganen Kochbüchern, Mode und Kosmetika.
Nähzubehör Inge Ahammer
Lederergasse 2
Das kleine Nähgeschäft in einer Seitengasse der Josefstädterstraße hat vielleicht die schönste Fassade des ganzen Bezirks und in dem Laden bekommst du bei totaler Ahnungslosigkeit in Handarbeitsbelangen dodelsichere Tipps für dein unendliches Strickprojekt.
Grandia
Josefstädterstraße 50
Herr Schatzer hat sich den Schlachtruf "Klasse statt Masse" auf die Fahnen geschrieben und verkauft lieber handgenagelte Jausendosen aus Tulln, statt Plastikware aus Shenzen. In seinem großzügigen Geschäft führt er alles von Mausefallen bis zu Emaille-Häferl und seine Mitarbeiter helfen beim Lösen jedes noch so kompliziert erscheinenden hauswirtschaftlichen Problems.
Wir mögen diese Geschäft übrigens so sehr, dass wir ein eigenes Portrait darüber geschrieben haben. Klick hier.
Café Hold
Josefstädterstraße 50
Den Titel "Wiener Original" hat niemand so sehr verdient wie Georg Hold. Herr Hold hat schon mit Falco getschechert und stand jahrelang hinter der Bar des Motto, bevor er in den 80er- und 90er-Jahre eine lachsfarbene Szenehütte hinterm Café Prückel betrieb, in der Vivienne Westwood Stammgast war und die Schlange vor der Tür zeitweise zweimal um den Häuserblock ging.
Mittlerweile erweist "Italo-Schorsch" seinem Spitznamen in der Josefstadt die Ehre: In seinem gemütlichen holzvertäfelten Lokal gleich neben der Grandia bekommst du den besten Espresso weit und breit und was Andi und Alex in der kleinen mintgrünen, offenen Küche fabrizieren (Fischsuppe! Beef Tatar! Risotto!), gereicht jedem gleichnamigen Fernsehduo zu Ehren. Kein Wunder also, dass das Hold immer vollgestopft mit Stammgästen ist. Ob sie alle trotz oder wegen des legendär-grantigen Chefs immer wieder kommen, sei dahingestellt.
Wenn du schon einmal in der Gegend bist ... hier geht's zu unserem Yppenplatz-Guide.
Header- und Einleitungsbild: Miriam Kummer