Musik-Festivals sind so ähnlich wie ein Parallel-Universum. Dort kann man Dinge tun, die im normalen, sozialen Leben nicht akzeptiert werden. Sobald man jedoch das Festivalgelände betritt, ist alles möglich. Mein erstes Festival liegt in etwa zehn Jahre zurück und es war toll. Am Frequency Festival am letzten Wochenende hatte ich dann das Gefühl, alles hat sich extrem verändert. Früher war das alles anders. Nach genauerer Überlegung und Besprechung mit Gleichgesinnten kam ich zu dem Schluss, dass sich gar nichts verändert hat. Ich bin diejenige, die um zehn Jahre gealtert ist. Die Erkenntnis war ein bisschen schmerzhaft, aber ich denke ich bin damit nicht allein. Hier findet ihr eine Checkliste, mit der ihr überprüfen könnt, ob ihr zu alt für ein 3-Tage-wach-Festival seid.
Was ich toll fand
Alle schmusen, die einen ganz verliebt bei einem langsamen Lied, die anderen, weniger verliebt, während sie sich in der Hitze am Boden wälzen. Dafür ist man nie zu alt (für zweiteres höchstens zu wenig betrunken). Schätzungsweise kannten sich die meisten der Pärchen schon mindestens zwei Stunden. Auffallend waren die vielen knutschenden (sehr jungen) Mädchen-Paare. Es gibt wohl keinen besseren Zeitpunkt für eine kurze lesbische Phase, als ein Festival.
Am Frequency findet man jedes Jahre zahlreiche Typen, die ohne ersichtlichen Grund, die verschiedensten Kostüme anhaben. So stand, während dem Konzert von Bad Religion, ein Iron Man neben mir, der verzweifelt seinen Freund Pikachu suchte. Ein rosaroter Elefant fiel mir des Öfteren auf, genauso wie ein Typ in einem hautengen, schwarzen Ganzkörper-Overall, der auch das Gesicht komplett verdeckte.
Man muss kein eigenes Gras mitbringen. Wenn man sich während der Konzerte, einfach direkt in die Menge stellt und ein paar Mal tief einatmet, reicht das vollkommen.
Der Typ, der für das Bespielen der Video Wall verantwortlich war, machte sich einen Spaß daraus, die Hintern von tanzenden Mädels zu filmen und in Riesenformat auf die Leinwand zu projizieren. Meiner war auch dabei, das machte mich ein bisschen stolz.
Beim schwulen Pizza Giovanni bekamen gut aussehende Jungs, die ohne Shirt, aber mit flirty Augenaufschlag ankamen, die Pizza schon mal gratis.
Die Massagestationen sind, gleich nach den 1-Liter-Spritzer-Bechern, die beste Erfindung. Wer die Nacht schon mal frierend auf einer harten Isomatte verbracht hat, weiß wovon ich rede.
Temporäre goldene Hipster Tattoos im Gesicht, sowie Blumenkränze im Haar sind die Standard-Festival-Uniform für die coolen Mädchen. Ich bin ein Fan von allem was Hippie schreit, allerdings sehen irgendwann alle gleich aus.
Ich würde gerne wissen, wie viele Piercings an drei Tagen Festival gestochen werden und wie viele davon auch am nächsten Tag noch Gefallen finden.
Bezüglich Handy am Festival hat sich eigentlich gar nichts verändert. Früher ließ man das Handy sowieso gleich im Zelt und schrieb nur einmal täglich eine SMS an Mama: „Bei mir ist alles ok. Es ist toll hier. Bussi“. Heute hat das Handy nach ein paar Stunden sowieso keinen Akku mehr, oder das Netz ist so überfordert, dass man ohnehin niemanden erreicht. Man sollte seine Freunde also nie aus den Augen lassen, oder sehr genaue Treffpunkte ausmachen. Am einfachsten ist es, sich jede volle Stunde an der Bar zu treffen.
Aus nostalgischen Gründen bin ich ein Fan von Werbegeschenken, die umfunktioniert werden. Der Typ, der das Schild mit der Aufschrift: „Info Schalter: Please ask!“ gestohlen hat, führte bestimmt gute Gespräche. Genauso wie derjenige, der die Worte „Ich halte ein Schild hoch“ mit sich herumtrug.
Die Riesen-Käse-Brezel schmeckt noch immer so gut wie 2006!
Was mich genervt/irritiert hat
Dixi Klos, ich denke, das bedarf keiner weiteren Ausführung. Außer: Ich habe zum ersten Mal den Scheiße-Staubsauger gesehen. Ein LKW mit einem riesigen Schlauch daran, der die gesamte Kabine reinigt. Gruselig!
Wenn man an Tag 3 in einer Menge steht und auf die nächste Band wartet und schon einiges getrunken hat, wird man kreativ. So fing, vor dem Konzert von Linkin Park, eine Gruppe, in Lederhosen gekleidete Naturburschen, an das „Vater Unser“ lauthals zu grölen. Ich war erstaunt, wie textsicher jeder einzelne war, aber sowas lernt man halt bei der Landjugend. Ich weiß nicht, ob ich es besser oder schlechter war, als das „Shrimps mit Reis“-Geschrei.
Manche Dinge werden sich wohl nie ändern. Ich habe es früher nicht verstanden (obwohl ich es natürlich auch gemacht habe), aber warum fühlt sich auf einem Festival jeder dazu verpflichtet sich Arme und Beine vollständig mit Edding zu bemalen? Wieso hat man überhaupt Edding mit?
Wer nagelneue, schneeweiße Sneakers zum Frequency anzieht, war noch nie auf einem Festival. Wisst ihr denn nicht, dass es am Frequency IMMER zumindest einmal kurz (auf jeden Fall so viel, dass riesige Pfützen und Gatsch entstehen) regnet?
Das bringt mich zum nächsten Punkt: Mit vollem Anlauf in die Pfütze springen ist lustig, wenn man acht Jahre alt ist!
Treue wird am Festival nicht so groß geschrieben. Ein Typ, der mir während des KWABS Konzerts seine Liebe gestand (wahrscheinlich machte ihn die Musik so romantisch, totale Schmuse-Stimmung), machte dies fünf Minuten später auch bei meiner Freundin, die neben mir stand.
Zum Schluss der wohl wichtigste und entscheidendste Punkt von allen: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir die Beine und der Rücken jemals so wehgetan haben! Spätestens beim Headliner möchte man sich am liebsten auf den Boden setzen, weil man schon brennende Fußsohlen vom stundenlangen Stehen hat. Beim nächsten Mal versuch ich’s einfach mit mehr Tanzen und mehr Trinken!
Fazit
Ich werde nie zu alt für Festivals sein. Denn nirgends fühlt man sich mehr Teil eines großen Ganzen als inmitten von tausenden Leuten, die in einer Sommernacht, halb betrunken alle dasselbe Lied singen. ABER: Ich bin definitiv zu alt fürs Campen, zumindest mein Körper!