Wiens Straßenzeitungen heißen „Augustin“, benannt nach einer tragisch-komischen Figur aus den Zeiten der Pest, „Uhudler“, nach einem etwas sauren Wein, oder internationaler: „The Global Player“ und „MO – das Magazin für Menschenrechte“. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Menschen in sozialer Not die Möglichkeit geben, ein wenig Geld zu verdienen und uns die Möglichkeit, die Philosophie der Straße kennenzulernen.

7:45 Uhr, ein gut angezogener Mann lacht dich an, streckt dir den Augustin entgegen und wünscht einen schönen Tag. Vorbei an einer älteren Frau gehst du in den Supermarkt, um dir dein Frühstück zu kaufen. Auf ihrem Schoß, in Plastikfolie, die neueste Ausgabe der Zeitung The Global Player. Im Schanigarten kommen zwei Jugendliche mit einer Ausgabe MO und ein gebrechlicher Mann mit dem Uhudler vorbei. 

Traditionsreich, kritisch, rebellisch

Die bunte Vielfalt der Wiener Straßenzeitungen entstand nach und nach. 1991 wurde mit dem Uhudler „die älteste und rebellischste Straßenzeitung Österreichs“ gegründet, damals noch als Jux-Zeitung, um einem Verbot des gleichnamigen Weines entgegenzuwirken. Kurze Zeit später, 1995, folgte der Augustin als Sprachrohr für Menschen in sozialer Not. Relativ neu am Straßenzeitungsmarkt sind die internationale Zeitung The Global Player und MO – das Magazin für Menschenrechte, welche sich mit Diskriminierung und Rassismus gegen Migranten*innen auseinandersetzen.

Abgesehen vom wichtigen sozialen Engagement, das du durch den Kauf beweist, haben die Blätter Inhalte zu bieten, die es wert sind, gelesen zu werden. Es sind sowohl namhafte Autor*innen als auch direkt Betroffene, die hier schreiben. Nicht wenige Obdachlose reflektieren über ihr Leben in Gedichten, Artikeln und Zeichnungen. Wichtige Themen sind hier soziale Brennpunkte, auch findet man so mache unangepasste Ansicht, die in den Medien der österreichischen Presselandschaft kaum vertreten ist. Obdachlosigkeit als politische Lebensform oder das Recht auf Gaunerei sind aktuelle Themen. Dieser Tage im Augustin: Gepflegtes Burnout bei der Altenpflege, Notschlaf-Sommerpaket und Körpergerüche im „Häfen“. In The Global Player setzt man auf Themen wie „Die Mauer zu Mexico“,  „Rassismus im Fußball“ und „Steuern sind zum steuern da“.

 

Kaufen, kaufen, nicht weiterlaufen

Ein guter Teil der Verkäufer*innen begegnet einem mit Freundlichkeit und guter Laune. Ist diese gute Laune aufgebraucht, was bei der zumeist prekären Lage der Zeitungsverkäufer nicht verwunderlich ist, wird das Blatt auch oft ohne weiteren Kommentar angeboten oder auf Mitleid gesetzt. An außergewöhnlichen Verkaufstaktiken mangelt es den Verkäufer*innen allerdings nicht. Der eine trällert unaufhörlich sein Lied „Kaufen, kaufen, nicht weiterlaufen“ oder „Happy birthday to me“, der andere macht mit seiner bunten Haarpracht auf sich aufmerksam, und nicht wenige merken sich dein Gesicht und begrüßen dich nach einem netten Gespräch am nächsten Tag mit deinem Namen.  „Diese Menschen tun etwas für ihren Lebensunterhalt“ ist die generelle Meinung der Bevölkerung, und so wollen die Straßenzeitungsverkäufer auch gesehen werden. Sie sind keine Bettler.

Straßenzeitungen gibt es in vielen Großstädten der Welt. Die erste war wohl „Streetnews“ in New York und „Big Issue“ in London aber auch Hamburg mit „Hinz und Kunz“ und Berlin mit dem „Strassenfeger“ haben seit den 1980ziger Jahren große Auflagen. Von New York über Berlin bis Wien geht es den Zeitschriften darum, die Reputation von Menschen in sozialer Not zu verbessern und ihnen eine Stimme zu geben. Und eines müssen wir sagen: 2,50 Euro ist das allemal wert!

Mehr zum Alltag von Wiener Obdachlosen gibt's hier: Violetta, Frau Fenzel, Visi, Fipsi.

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