Als Wiener*in solltest du unbedingt einmal bei einem der Gemeindebauten vorbeischauen – wenn du nicht schon darin wohnst, denn heute lebt jede vierte Wiener*in in einem Gemeindebau! Besonders die ersten Gemeindebauwohnungen, die in der Zwischenkriegszeit entstanden sind, laden durch offene Innenhöfe dazu ein, einfach hereinzuspazieren. Wir zeigen dir hier, welche von ihnen du dir unbedingt anschauen solltest.

 

Eine kleine Geschichtsstunde

Die Errichtung der Gemeindebauten war ein sozialdemokratischer Versuch, der damaligen Wohnungsnot ein Ende zu machen. 1917 hatte nur jede zehnte Wohnung ein eigenes WC und noch weniger davon hatten überhaupt einen Wasseranschluss. Nicht einmal ein eigenes Bett war für die Mehrheit der Arbeiter*innen Realität. In den überfüllten Kleinstwohnungen hat es sich nicht gut leben lassen – die Wohnsituation in Wien war eine der schlechtesten in ganz Europa. Kein Wunder also, dass Tuberkulose, die sich durch diese Umstände leicht verbreiten konnte, auch als die »Wiener Krankheit« bekannt war.

 

Zwischen 1919 und 1934 haben die Sozialdemokraten 60.000 Gemeindebauwohnungen errichtet, ganz nach dem Motto »Licht, Luft und Sonne«. Das klingt heute fast nach einem Hippie-Slogan, war damals aber ziemlich revolutionär. Plötzlich hatte jede Wohnung einen Wasseranschluss, ein eigenes WC, und war umgeben von riesigen Innenhöfen und Grünflächen. Das Geheimrezept hat funktioniert und die Lebenserwartung stieg in der Zeitspanne um fast 20 Jahre an. Die Gemeindebauten beherbergen aber nicht nur Wohnungen, sondern meist auch Kindergärten, Bibliotheken, Geschäftsflächen, Cafés, Beratungsstellen und Arztpraxen!

Weil es sich aber nicht nur gut darin wohnen lässt, sondern sie auch wunderschön zum Anschauen sind, findest du hier fünf Gemeindebauten, die definitiv einen Besuch wert sind.

 

Reumannhof

Margaretengürtel 100, 1050 Wien

Erbaut: 1924 – 1926

Der Reumannhof ist der erste Gemeindebau auf der Liste und fühlt sich fast wie eine Oase an neben dem vielbefahrenen Margarethengürtel. Spazier gleich in das Herzstück, dem »Ehrenhof«. Das ist der Innenhof, der ein kleines bisschen einer Palastanlage ähnelt. Das ist kein Zufall, weil der Architekt dem Proletariat einen Palast bieten wollte mit allem, was dazugehört. Deshalb ist der Reumannhof besonders monumental, inklusive Säulengängen und einem Hochstrahlbrunnen.

 

Rabenhof

Baumgasse 29-41, 1030 Wien

Erbaut: 1925 – 1928

Gefühlt tausend Leute haben mir ans Herz gelegt, den Rabenhof zu besuchen – er kann sich also sehen lassen! Für das Gebäude wurden mehrere Straßenblöcke zusammengelegt. Das Ergebnis ist eine Riesenanlage mit mehreren grünen Innenhöfen – also quasi ein Superblock. Der Rabenhof ist aber nicht nur groß, sondern auch schön, mit charakteristischer Ziegelfassade und wunderschönen Torbögen. Manche fühlen sich wie in einer geöffneten Burg, wenn sie im Rabenhof stehen, also nichts wie hin! Einen Besuch kannst du gut mit einer Vorstellung im Rabenhof Theater verbinden.

 

 

Vogelweidhof

Wurzbachgasse 2-8, 1150 Wien

Erbaut: 1926 – 1927

Normalerweise werden Gemeindebauten nach Politiker*innen und Denker*innen benannt. Hier findest du aber einen, der nach einem Chartstürmer des Mittelalters benannt wurde, dem Minnesänger Walther von der Vogelweide. Sobald du den Hof siehst, weißt du, warum. Hier findest du nämlich tatsächlich eine gute Dosis Märchen und Romantik, weshalb das Gebäude auch als der »Märchenhof« bekannt ist. Mit den Säulen aus Stein fühlt man sich schnell einmal wie in einem kleinen Schloss. Vergiss nicht, nach oben zu schauen, wenn du durch den Hof spazierst, sonst übersiehst du die Gemälde und Fresken, für die der Hof bekannt ist!

 

 

Sandleitenhof

Matteottipl. 4, 1160 Wien

Erbaut: 1924 – 1928

Das ist der größte Gemeindebau und deshalb ein Pflichtpunkt auf dieser Liste. Perfekt also für Tage, an denen du den Stadtkern verlassen willst und dich ein wenig verlieren willst in großen Weiten. Allerdings ist der Hof nicht einfach ein geschlossenes Gebäude mit Innenhof, sondern nach allen Seiten hin offen mit vielen Grünflächen, Brunnen, Treppen und architektonischen Details. Wenn du schon nicht hier leben kannst, dann solltest du hier unbedingt einen ausgiebigen Spaziergang machen.

 

 

Karl Marx Hof

Heiligenstädter Str. 82-92, 1190 Wien

Erbaut: 1927 – 1933

Zu guter Letzt schicken wir dich zum Karl-Marx-Hof. Wenn du auch nur einen der Gemeindebauten besuchst, dann sollte es dieser sein – er ist das Aushängeschild des Roten Wiens und außerdem das längste zusammenhängende Wohngebäude der Welt. Das ist nicht nur nett, weil du mit diesem Fakt beeindrucken kannst, sondern weil ein so langes Gebäude zum Spazierengehen einlädt! Im Karl-Marx-Hof findet man aber nicht nur Wohnungen, sondern – wie in vielen anderen großen Gemeindebauten – auch andere nützliche Einrichtungen wie Kindergärten, Beratungsstellen oder einen Waschsalon.

 

So geschäftig das auch klingen mag: der Innenhof gleicht einem grünen Park, der sich gut dazu eignet, einfach entspannt ein Buch zu lesen und die Welt zu vergessen. In den warmen Monaten gibt es hier manchmal sogar Veranstaltungen und Konzerte, weil der Hof so schön groß ist. Der Karl-Marx-Hof ist außerdem ein heißer Tipp für Familienbesuche, wenn es nicht jedes Mal Schönbrunn oder der Steffl sein soll – Im Waschsalon gibt es nämlich sogar Ausstellungen und Führungen zum Roten Wien, die du dir auf keinen Fall entgehen lassen sollst.

 

Geheimtipp

Stadtwanderweg 11

Start: Bruno Kreisky Park, 1050 Wien

Ziel: U1 Station Reumannplatz, 1100 Wien

Länge: 4 Kilometer

Gehzeit: 2 Stunden

Auf dieser zweistündigen Wanderung wirst du das exotische Biotop Gemeindebau näher kennenlernen – es ist das größte, geschützte soziale Wohnhabitat Europas. Vor allem wirst du die Gegend rund um den Margarethengürtel sowie Favoriten kennenlernen, denn hier tummeln sich unglaublich viele alte Gemeindebauten.

 

Los geht es im Bruno Kreisky Park und von da aus in die Wildnis des Margaretengürtels. Nach kurzer Wanderung geht es zur ersten Almhütte: der »Mann« Filiale, die zwischen den vielen Fahrstreifen sitzt. Hier holst du dir deinen Wanderstempel für den Wanderpass (den du doch hoffentlich nicht daheim vergessen hast?) und sicherheitshalber noch ein Kipferl für unterwegs. Gerade als Person, die in Wien wohnt, solltest du den elften Stadtwanderweg einmal bestreiten, denn er wird dir Tür und Tor öffnen für schöne Innenhöfe und kolossale Bauten, die du sonst vielleicht verpasst hättest.

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