Das Verhältnis von Kunst und Armut ist ambivalent. Schleichend verschafft sich die Armut ihren Raum, zwingt Künstler in die Knie, schafft Hass und Inspiration. Laut Karl Simrock benötigen sie einander, um zu bestehen:


„Wär' Armut nicht, so wär' keine Kunst.“

Stimmt das? Wem steht sie denn zu, die Kunst? Haben nicht alle ein Recht auf sie?

 

„Die meisten trauen es einem gar nicht zu, das mit der Kunst“, meint Oliver und zieht an seiner Zigarette. Er wirft einen prüfenden Blick in den grauen Frühlingshimmel und atmet langsam den Rauch aus. „Es wird irgendwie immer verlinkt. Bist du arm, bist du asozial. Ich machs´ mir nicht zur Aufgabe da irgendjemanden vom Gegenteil zu überzeugen.“ Es fängt an zu nieseln und wir beschleunigen unsere Schritte, weg aus der überfüllten Fußgängerzone in eine kleinere Seitengasse hinein.

Wir sind auf dem Weg in die Albertina, gezeigt wird eine Retrospektive von Gottfried Helnwein. „Auf den freue ich mich schon so lange“, grinst Oliver und wir betreten die Rolltreppe zum Eingang hinauf. Die Eingangshalle ist gesteckt voll, es ist das Eröffnungswochenende. Wir drängen uns zur Kasse durch und reihen uns in die Warteschlange. Der Kassiererin zeigt er einen hellrosa Schein, „einmal Kulturpass, einmal Student“, kommentiert er und ich zücke meine Geldbörse. Freier Eintritt für ihn, acht Euro fünfzig für mich.

Oliver hat vor sieben Monaten seine Arbeitsstelle verloren – Personalkürzungen. Seitdem wird er von Schulung zu Schulung geschickt, um, wie er meint: „aus der Arbeitslosenstatistik draußen zu sein. Eigentlich mehr Beschäftigungstherapie. Stört mich sonst nicht weiter, anders aber die Sache mit dem Geld. Man kommt halt aus, aber Luxus ist keiner mehr drinnen. Ich hab mich gefreut, als ich das mit dem Kulturpass erfahren habe. Denn ehrlich, Tickets für Museen sind nicht billig, Theaterkarten sowieso nicht. Es ist nicht meine Schuld, dass ich momentan nicht das Kleingeld dafür hab, also warum soll ich darauf verzichten müssen?“

 

Hunger auf Kunst und Kultur

Über genau jenen Verzicht unterhält sich Monika Wagner, Geschäftsführerin des Projekts „Hunger auf Kunst und Kultur“ mit mir:
„Ich sehe sehr große Probleme, besonders finanzielle, und zwar auf beiden Seiten. Natürlich würde ich mir wünschen, dass mehr Geld da ist. Sowohl für Kreative und Kunstschaffende, als auch für all jene, die Kunst rezipieren wollen. Und eben für Projekte wie unseren Kulturpass.“

Der Kulturpass geht auf eine Initiative von Airan Berg zurück, dem ehemaligen künstlerischen Leiter des Wiener Schaupielhauses. Mit dem Kulturpass hat man freien Zugang zu über 190 kulturellen Institutionen in ganz Österreich. Anspruchsberechtigt sind Personen, die bedarfsorientierte Mindestsicherung, Leistungen des Arbeitsmarktservice Österreich oder eine Mindestpension beziehen, die unter der Armutsgefährdungsgrenze leben sowie Asylwerber und Flüchtlinge.
 
Monika erzählt weiter – von geplanten Projekten, von erfolgreichen Zusammenarbeiten zwischen Kultur- und Sozialeinrichtungen, von über 27.000 ausgegeben Kulturpässen im letzten Jahr, alleine in Wien. Ein Hauptproblem sei unter anderem auch die geringe Wertschätzung für Kunst und Kultur im Rahmen der Schul- bzw. Ausbildung von Jugendlichen – im Lehrplan werde Kulturprojekten wenig Platz eingeräumt, ebenso werde das Potential von Kulturprojekten im Rahmen von Integrations- bzw. Sozialarbeit viel zu wenig anerkannt und die finanziellen Mittel seien stets sehr eingeschränkt:
„Kunst und Kultur ist Teil des Alltags, so wie alles andere auch. Es ist nicht nur für den Kunstschaffenden selbst wichtig, sondern bietet dem Zuschauer auch die Möglichkeit, eigene kreative Prozesse in sich zu entfalten. Das ist aber ein Wert, der einfach nicht gesehen wird. Oder nicht genug gesehen wird. Kunst ist... Lebenselixier.“

 

Armut als Thema

Laut Künstlersozialkasse verdienen bildende Künstler in Deutschland im Durchschnitt etwas über 800 Euro im Monat, in Österreich leben mittlerweile 37 Prozent aller Kunstschaffenden unter der Armutsgefährdungsgrenze. Fotograf Lukas Ilgner hat das Glück, von seiner Kunst leben zu können, aber: „Künstler waren immer schon arm. Und alle Künstler, die ich kenne, leben sowieso im Prekariat.“
 
Das Problem dahinter sieht er vor allem in der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich sowie der fehlenden Nachfrage. „Kapitalismus ist ein Pyramidenspiel. Der Reichtum wandert von der Basis immer weiter nach oben, dort sammelt er sich dann an. Es gab noch nie so viele Reiche wie jetzt, und es gab auch nie so viele Arme wie jetzt. Und in der Kunst, da gibt es ein Überangebot. Wer soll das alles konsumieren, die ganze Kunst? Wer soll das kaufen, so viel, dass der Künstler davon leben kann? Das ist Illusion. Eine Illusion für viele.“
 
Wir sitzen gemeinsam im Wiener Stadtpark, gleich um die Ecke des Entstehungsortes seiner Fotoserie „Shelter“ . Darin thematisiert er Obdachlosigkeit, fragte zahlreiche Personen, ob er sie in ihrer „Heimat“ – Schlafsäcken und Plastikplanen auf der Parkbank – portraitieren dürfe. Erstaunlich seien da besonders die aggressiven Reaktionen vorbeilaufender Passanten gewesen, „die ihr schlechtes Gewissen auf mich projiziert haben. Die mir gesagt haben, ich solle „diese Leute“ nicht beachten. Armut ist ein gesellschaftlicher Zustand, an dem sprichwörtlich vorbeigegangen wird.“

Foto: Lukas Ilgner

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