Ridentity - Das Projekt
Jeder freut sich über den alteingesessen Handwerksbetrieb am Eck oder die supercoole Designagentur im Hinterhof der alten Fabrik, bestellt dann aber doch lieber alles online und lässt sich die ersten eigenen Visitenkarten vom Hipster-Generator erstellen. Das ist nicht nur deshalb bescheuert, weil man so langfristig die Innenstädte leerfegt, sondern auch, weil einem so viel Wissen um die Produkte und Traditionen der teilweise jahrhundertealten Unternehmen durch die Lappen geht. Und ja, diese Traditionsbetriebe gibt es wirklich in jedem Bezirk.
Um die Vielfältigkeit zu unterstützen und zu erhalten, hat der Grafikdesigner Oliver Toman gemeinsam mit Heineken das Projekt "Ridentity" gestartet. 23 Betriebe, einer aus jedem Bezirk, bauen unter der Supervision von Daniel Reinhartz gemeinsam ein Rad für Wien.
Inspiriert von so viel Ideenreichtum, haben wir eine kleine Radltour durch Wien gestartet und uns vier der zuliefernden Kleinunternehmen ein bisschen genauer angesehen:
Brücklmeier - Stempel Schilder Gravuren
Weihburggasse 3, 1010 Wien
Fahrrad-Teil: Gravur der Hinterradnabe (für Technik-Loser wie uns: das ist das runde Ding im Zentrum des Hinterrads)
Gründungsjahr: 1895
Mitarbeiter: 3
Damit deine Besucher nicht dauernd bei der bösen Nachbarin anläuten: Graviertes Türschild, ab 120 Euro
Für unendlich viele gratis Clubbesuche: individueller Gummistempel, ab 30 Euro
Das winzige Geschäft im Herzen Wiens hat eine bewegte Geschichte. Der Urgroßvater des heutigen Besitzers Max Kraus führte das Unternehmen ursprünglich in Graz, doch floh er während des zweiten Weltkriegs mit seiner jüdischen Frau nach Wien. Die Dame mit dem wunderschönen Namen Regine Bienenstock entging der Deportation, indem sie sich den ganzen Krieg lang in einem Verschlag versteckte. Nach dem Ende des Nazihorrors pfiff man auf den arisierten Grazer Betrieb, der in Hochzeiten 150 Angestellte hatte, und eröffnete das Geschäft in der Weihburggasse. Bis heute werden hier Schilder nach alten Techniken gefertigt, die man teilweise sogar selber erfunden hat. So hält man beispielsweise die Patente auf einen Stempel zum Bedrucken und Besticken von Stoffen oder auf den ersten Wechseltext-Brennstempel "OYO".
Für das Ridentity-Rad hat Max Kraus die Hinterradnabe graviert, dem geneigten Privatkunden rät er von dieser Investition jedoch ab: "Unbezahlbar". Es gibt aber andere schöne (bezahlbare) Features die er schon für andere Drahtesel produziert hat: Vor ein paar Jahren hat man ein beidseitig emailliertes Schild mit der Aufschrift "Dienstrad" gefertigt (ist ja sonst wirklich schwer, einen Parkplatz zu finden ...) und auch das Zweirad von Herrn Kraus ist mit einem großen Schild aus eigener Fabrikation geschmückt. Gibt schließlich keine bessere Werbung als wenn der gutgelaunte Firmenchef auf dem gebrandeten Hausrad pfeifend zum nächsten Kundentermin fährt.
Was muss ein gutes Stadtradl können, Herr Kraus? Gut ausschauen und nicht zum Diebstahl einladen.
Wenn Wien ein Fahrrad wäre ... wäre es ein drei Meter hohes Hochrad aus Schmiedeeisen.
Versus Design
Belvederegasse 26, 1040 Wien
Fahrrad-Teil: Design und Produktion Vorderradnabe, Kettenblatt und Bremshebel
Gründungsjahr: 2010 (seit 2013 als GmbH)
Mitarbeiter: 6
Du hast die ultimative Idee für das eine Ding, das die Welt unbedingt noch braucht? Dann ist Manuel Egger von VERSUS DESIGN wohl die richtige Ansprechperson. Der studierte Industriedesigner, seine Geschäftspartnerin Asal Shirvani und deren Team helfen Unternehmen wie Privatpersonen ihre Grundidee in ein marktfähiges Produkt zu übersetzen und kümmern sich um alles von der Produktentwicklung bis zur Vermarktung und dem Corporate Design. Das Kundenportfolio ist genauso breitgefächert wie das Serviceangebot von Versus Design: Für die Vet-Med hat man Lichttherapielaser entwickelt, für Nespresso eine Eiskaffee-Maschine designt und auch mit der perfekten Hundeleine hat sich das Team schon eingehend beschäftigt.
Die Teile für das Ridentity-Rad waren quasi eine kleine Fingerübung, denn hier hat man das Rad schon öfter ganz neu erfunden (ha!) - zuletzt hat Versus etwa ein Schaltwerk entwickelt, das ewig saubere Hände garantiert - die Kette kann nämlich durch einen besonders segmentierten Zahnkranz nicht herausspringen. Nebenbei bemerkt ist das Unternehmen im vielleicht schönsten Work-Space Wiens namens "A.WERNER" beheimatet. Hier arbeiten verschiedene Unternehmen in einer stillgelegten Schlosserei, bekommen Kaffee aus einer legendären Faema E61 serviert und gehen zum Telefonieren in eine ausrangierte Skigondel. Kaum zu glauben? Bei einem Mittagessen in der A.WERNER Kitchen kann man sich selbst ein Bild von diesem Traumort machen.
Ihre ausgefallenste Radltour, Herr Egger? Wir haben vergangenes Jahr ein Skibike entwickelt - während dieses Prozesses habe ich an die 100 Pistenkilometer mit den Prototypen zurückgelegt.
Wenn Wien ein Fahrrad wäre ... wäre es eine zweirädrige Kutsche.
Ledermanufaktur Posenanski
Sebastian-Kneipp-Gasse 6, 1020 Wien
Fahrrad-Teil: Sattel- und Griffbezug
Gründungsjahr: 2000
Mitarbeiter: 8
Mit der Ledermanufaktur hat sich Thomas Posenanski seinen Jugendtraum erfüllt. Schon seit Kindertagen wollte er Taschner oder Sattler werden. Sein Vater fand das eine weniger gute Idee und so arbeitete Thomas Posenanski nach einem Studium auf der TU als Maschinenbauer. Heute dreht sich in seinem Leben alles ums Leder. In seinem Betrieb ganz in der Nähe der WU wird der Naturstoff Leder in jeder erdenklichen Art verarbeitet, repariert und auch gefärbt. Für Austrian Airlines hat man Teile der Büros ausgestattet und im Parlament werden handgefertige Schreibtischauflagen aus der Leopoldstadt verwendet. Aber es geht auch wilder: Josef, der bis vor Kurzem als Schuhnäher im Iran gearbeitet hat, ist dieser Tage beispielsweise mit der Fertigung von 1.000 Sprengstoffgürteln für ein nichtgenanntes österreichisches Unternehmen beschäftigt. Manchmal fragt man lieber nicht genauer nach, so Herr Posenanski.
Eine besondere Spezialität ist die original-historische Maßanfertigung von historischen Kleidungsstücken. Wer schon immer ein Paar Schuhe gleich jenen, die Napoleon bei der Schlacht von Waterloo trug, haben will, der ist bei Rakip richtig. Der Schuhmachermeister hat das Handwerk in Bulgarien bei seinem Vater gelernt und ist die gute Seele des Hauses. Aus einem besonders widerstandsfähigen dunkelbraunen Juchtenleder und mithilfe einer gebogenen Ahle hat er Sattel und Griffe für das Ridentity-Rad genäht - auch wenn aufgrund der komplizierten Stumpfnaht ein bisschen mühsam, sind das doch Peanuts für Rakip. Als nächstes steht ein ganz anderes Kaliber am Programm: Die Innenraumausstattung eines Aston Martin.
Für den ersten richtigen Job: Maßgefertigter Gürtel, ab 80 Euro
Glas Bauer
Servitengasse 21, 1090 Wien
Fahrrad-Teil: Lichtgehäuse und Reflektoren
Gründungsjahr: 1965
Mitarbeiter: 4
Für kristallklares Netflix&Chill: Universal Reinigungsschaum, um 19,90 Euro
In einem der malerischsten Viertel Wiens findet man hinter mosaikverzierten Wänden die Werkstatt von Rainhard Bauer. Obwohl er mit seinem Irokesen und den zahlreichen Tattoos nicht gerade wie ein Ordensmann aussieht, liegt seine Leidenschaft doch in der Kirche. Rainhard Bauer ist nämlich einer der wenigen fähigen Kunstverglaser des Landes und hat während seiner Lehrjahre auch schon mitgeholfen die Kirchenfenster der ehrwürdigen Westminster Abbey aufzuhübschen. Das Hauptgeschäft liegt jedoch eher bei der Bauverglasung und den guten alten Sturmschäden.
So etwas Ausgerissenes wie die handgeschliffenen Fahrradlichter für das Ridentity-Rad gingen zuletzt als Lehrbub durch Rainhard Bauers Hände. Auch als fertiger Meister ist Bauer viel mit der Jugend beschäftigt und das nicht nur bei den zahlreichen Festivals, die der große Punkfan besucht. Als Bundeslehrlingswart ist er für die Qualitätssicherung und das Curriculum des Lehrberufs "Glasbautechnik" zuständig und kümmert sich darum, dass überhaupt noch Nachwuchs nachkommt.
Ihr Raderlebnis des Sommers, Herr Bauer? Ich war in Kroatien und bin gemeinsam mit Freunden 150 Kilometer an der Küste entlang geradelt.
Wenn Wien ein Fahrrad wäre ... wäre es ein Puch-Waffenrad. Sehr schön, aber auch ein bisschen behäbig.
Fotos: Magdalena Hiller
Dieser Artikel entstand in Kooperation mit Heineken.