Volkstheater Inspizient Sigi Kusdas

Pünktlich um halb acht hebt sich der schwersamtene Vorhang des Volkstheaters. Wir befinden uns im Wien des Jahres 1883, wo Stephanie von Belgien, Frau von Kronprinz Rudolf, gerade ihr Töchterchen Elisabeth zur Welt gebracht hat. Es spielt den Donauwalzer, während die Schauspieler über die Bühne wirbeln.

Um diesen mühelosen Moment zu kreieren, sind unzählige unsichtbare Handgriffe notwendig. Dafür, dass jedes dieser Rädchen störungslos ineinander greift und alle Teile gemeinsam einen magischen Theaterabend kreieren, ist Sigi Kusdas verantwortlich. 


Sigi Kusdas hinter der Bühne des Volkstheaters

 

Der Mann, der die Fäden zieht

Sigi Kusdas ist einer von drei Inspizienten am Volkstheater und sitzt im Zentrum aller sprichwörtlichen und tatsächlichen Rädchen. Von einem winzigen nach hinten hin offenen Kämmerchen am Bühnenrand gibt er Licht- und Tonzeichen für Bühnenbild-Umbauten, Auftritte der Schauspieler oder, dass der „Verfolger”, ein großer handgesteuerter Lichtkegel, die einzelnen Schauspieler von hoch oben über die Bühne „verfolgen” kann. Auch das dreimalige Läuten vor Vorstellungsbeginn und das Pausenklingeln gehen auf sein Konto. „Bei uns ist das ja leider eher ein Scheppern!”, bedauert Sigi die mangelnde Eleganz der Foyerglocke. 

 

Equiqment aus Kreiskys Zeiten

Es gibt aber drängendere Wünsche des Inszipienten: Das buntleuchtende Steuerungspult mit aberdutzenden Knöpfchen stammt aus den 80er-Jahren und ist somit nicht mehr am neuesten Stande der Technik. Beim anstehenden Umbau wird dieses aber sicherlich ersetzt, verspricht der kaufmännische Direktor Cay Stefan Urbanek bei einer kurzen Bühnenführung vor der Vorstellung. 

 

Alles im Blick

Das Steuerungselement ist zwar von vorgestern, Sigi Kusdas muss damit aber sehr moderne Inszenierungen koordinieren, die voller Projektionen und Spezialeffekten sind. Von den neuen Anforderungen zeugen zahlreiche Anbauten an den Theater-omaten. Besonders spektakulär ist ein Joystick mithilfe dessen Sigi eine Kamera steuert, die den ganzen Zuschauerraum überblickt. Etwaiges unstandesgemäße Treiben in den Logen kann damit gut entdeckt werden – auch wenn das kaum mehr vorkommt, die wilden Zeiten in den Wiener Zuschauerräumen sind schon länger vorbei. 

 

Ein großes Unglück mit langfristigen Folgen

Neben jenen Ereignissen des 19. Jahrhunderts, die das Rote Wien prägten, um die es heute bei „Alles Walzer, alles brennt” geht, beeinflusst ein Ereignis aus dem Jahre 1881 bis heute die Arbeit hinter der Bühne: Der Brand des Ringtheaters am Schottentor. Ausgelöst durch aus der Bühnenbeleuchtung entweichendes Gas und eine daran anschließende beispiellose Verkettung von Sorglosigkeit, Verharmlosung und Beamtenversagen, starben mehrere hundert Leute. 


Die Seilzüge mit denen die Bühnenarbeiter die Umbauten steuern

 

Eiserner Vorhang mit Sinn

Seit damals hat Österreich die wohl strengsten Brandschutzbestimmungen der Welt. Fluchtwegsbeleuchtungen sind hierzulande unauslöschlicher als das Feuer Mordors und nichts ist so sicher, wie dass alle Türen in öffentlichen Gebäuden nach außen aufgehen. Im Zentrum der theaterspezifischen Brandbestimmungen steht der eiserne Vorhang – der im Notfall Bühnen- und Zuschauerraum voneinander trennt und so ein Überschlagen der Flammen verhindern soll.

 

Auf der sicheren Seite

Ausgelöst wurde "die Kurtine", wie der eiserne Vorhang im Volkstheater genannt wird, in Sigis bisheriger zehnjähriger Dienstzeit allerdings noch nie – denn für dieses Worst-Case-Szenario muss außerordentlich viel schief gehen. So gibt es vor jeder Vorstellung einen vom Bühnenmeister geführten Rundgang mit der Feuerwehr bei der jeder Feuerlöscher überprüft wird. Während jeder Vorstellung sitzen zudem zwei Feuerwehrmänner rechts und links hinter der Bühne mit Blick auf die Falllinie des Eisernen Vorhangs. 

 

 

Wenn gar nichts mehr geht

Auch wenn nicht wegen züngelnder Flammen, so kommt es doch ab und an vor, dass eine Aufführung unterbrochen werden muss – dann wenn sich jemand verletzt hat oder eben einfach kein Rädchen mehr ins andere greifen will. So wie bei einer Vorstellung von „Harold und Maude” noch in der alten Intendanz, bei der sich ein Vorhang so unglücklich im Bühnenbild verfing, dass die zu spielende Szene nicht sichtbar war. Insgesamt dauerte die Unterbrechung vielleicht zwei Minuten – doch die dehnten sich aufgrund der vielen Vorgänge in Sigi Kusdas Erinnerung ins Unendliche.

 

Alles fürs Theater, alles fürs Team

Dass so selten etwas schief geht, ist dem Zusammenspiel von den unzähligen Händen hinter dem Bühnenvorhang zu verdanken: Regieassistent, Bühnenmeister, Requisiteure, Schauspieler und eben der Inspizient prüfen gleichermaßen ob alles da ist, wo es sein soll. Statt Inspizient würde er sich auch mit der Berufsbezeichnung „Fehlersucher” zufriedengeben, feixt Sigi Kusdas. Was ihm am besten an seinem Beruf gefällt? Die Zusammenarbeit mit all den verschiedenen Berufsgruppen – und die schier unbegrenzte Problemlösungskompetenz die von der „The show must go on”-Mentalität bedingt wird. 


Schauspieler Thomas Frank mit Inspizient Sigi Kusdas  

Läuft!

Kurz vor der Vorstellung gibt es dann noch einen Paradefall für die Volkstheater-Schnelleingreiftruppe: Schauspieler Thomas Frank fällt auf, dass ein Seitenvorhang nun schon seit einigen Vorstellungen fehlt – zuerst unauffindbar, wird das schwarze Moltonstück mit vereinten Kräften doch noch „just in time” auf seinen angestammten Platz am Bühnenrand platziert. Sigi Kusdas verzieht sich in sein Kammerl, läutet zum dritten Mal, als dass sich auch der letzte verspätete Gast noch auf seinen Sitz einfindet und – zack – befinden wir uns schon wieder im Jahr 1883 und ein Rädchen beginnt sich geschmeidig ins andere zu fügen. So wie (fast) jeden Abend eben.

Und wie du besonders günstig ins Volkstheater kommst, erfährst du hier.  

Header- und Einleitungsbild: Magdalena Hiller

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