„Ein Mensch, der sein ganzes Leben lang kein Shakespeare-Stück gesehen hat, der ist ein armer Mensch, und wenn er sich noch so viele Fernsehserien reingezogen hat“, tönte der bekannteste Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann in der TV-Sendung erLesen. Nur um sich gleich darauf von seiner Diskussionpartnerin den empörten Widerspruch einzufangen, dass Bildung nicht im Konsum von Klassikern besteht. 

Egal auf welcher Seite der Diskussion du stehst, das Theater in Wien hat einen Ruf zu verteidigen und muss beides – alte Schinken wiederbeleben und Neues ausprobieren. Damit du im Programm-Dschungel nicht den Überblick verlierst, hier eine Auswahl an Empfehlungen im Herbst.

 

Volkstheater 

Arthur-Schnitzler-Platz, 1070 Wien

Das Volkstheater lädt am 16.9. unter dem Hashtag #followme zum Tag der offenen Tür. Literarische und musikalische Programme, eine Kostümversteigerung, ein  Klatschseminar (!) oder eine Sprechstunde mit Chefin Anna Badora locken bei freiem Eintritt ins Innere des Hauses. Für 5 Euro (VK) kann man anschließend bei der Preview-Show Kostproben aus dem neuen Spielplan sehen. Und aus diesem ist  – Achtung, Klassiker! - Nestroys „Höllenangst“ in der Regie von Felix Hafner zu empfehlen. Hafners dritte Regiearbeit am Haus behandelt die Gesellschaft im Umbruch. 1849 uraufgeführt ist die dunkle Posse noch immer ergiebig, neugierig macht 2017 auch die Beteiligung von Peter Klien (Couplets, bekannt aus Willkommen Österreich) und Clemens Wenger (Musik, 5/8erl in Ehr´n). 

Außerdem: Clemens Setz´ erstes, in Manier seiner Romane, analytisch-böses Theaterstück „Vereinte Nationen“ (ab 13. Oktober) über Eltern, die die Überwachung ihrer Tochter vermarkten und der Georg Kreisler-Liederabend „Wien ohne die Wiener“ des Puppenmeisters Nikolaus Habjan mit der zehnköpfigen Tiroler Musicbanda Franui (ab 11. Oktober).

Wie schön wäre Wien ohne Wiener!/So schön wie a schlafende Frau./Der Stadtpark wär sicher viel grüner,/und die Donau wär endlich so blau 

Aus: Georg Kreisler Wien ohne Wiener

Für alle unter 27 gibt’s wunderbare Ermäßigungen, u.a. 70 Prozent Abschlag auf das Abo, sowie Restkarten zu um 6 Euro bereits ab 10 Uhr am Vorstellungstag. Mehr Infos hier.

 

 

Brut 

Karlsplatz 5, 1010 Wien

Foto: © Oh Magic, C. Lessire

Das brut wurde im dritten Jahr von Kira Kirschs Intendanz delogiert, denn die reguläre Spielstätte wird renoviert. Ausgewichen wird ins Freie, aber auch ins Tanzquartier, wo man sich von 19.-25. Oktober Simon Mayers „Oh Magic“ nicht entgehen lassen sollte. Der österreichische Performer, Tänzer und mittlerweile gefeierte Choreograph mischt Bach, Techno, Geschlechtsverkehr und Robotik zu einem performativen Konzert-Stück. Angekündigt als „Ritual zur Feier der Lebensenergie, das durch unakademisches Musizieren zum rituellen Ursprung von frei-expressivem Körperausdruck zurückkehrt“ klingt das nach guter Abwechslung zum Studium!

Ein großer Spaß dürfte außerdem „Nesterval´s Dirty Faust“ werden: Für das immersive Performance-Abenteuer werden ab 25. Oktober in einem leerstehenden Haus am Gellertplatz 7 Faust und Tanzfilme der 80er schamlos vermengt – mit Melone! Der online Vorverkauf startet am 21. September um 13 Uhr.

 

 

Werk X 

Oswaldgasse 35A, 1120 Wien

Für die erste Premiere vom Werk X in dieser Spielzeit lässt Regisseur Martin Gruber in „Ich glaube“ zusammen mit dem Aktionstheater Ensemble Lebensphilosophien in einer terror-verletzten Welt aufeinander los. Absolute Glaubenssätze zerbröckeln, zurück bleibt die Suche nach Liebe. Zu sehen ist die ab 11. Oktober. 

 

Schauspielhaus 

Porzellangasse 19, 1090 Wien

Foto: © Schauspielhaus

Ins Schauspielhaus kann man eigentlich immer gehen. Das spannendste Experiment im Herbst dürfte die Social-Media-Serie „Seestadt-Saga: Staffel 1“ sein. Bernhard Studlars und Lorenz Langeneggers Writers Room entwirft dafür am Schauspielhaus die Grundzüge. Weitererzählt und begangen wird die Story-Line dann in Wiens derzeit interessantestem Entwicklungsprojekt, der Seestadt Aspern. Unter Mitwirkung des Publikums und über diverse mediale Ausdrucksformen von Facebook-Posts und Tweets über Live-Videos bis hin zu Filmen probiert man so, wohin kollektive Autorenschaft führen kann (ab 19. Oktober).  

Außerdem ist Thomas Köck fast schon Hausautor in der Porzellangasse. Sein bereits drittes Auftragsstück „Die Zukunft reicht uns nicht (Klagt, Kinder, klagt!)“ inszeniert er erstmals auch selbst, gemeinsam mit Elsa-Sophie Jach. Die postheroische Schuldenkantate kommt als ein Ein-Frau-Stück mit Chor daher und stellt ab 9. November die vermeintliche Alternativlosigkeit unserer Gegenwart infrage, indem über individuelles und kollektives Erbe nachgedacht wird. 

Seit der Spielzeit 2016/17 wird im Schauspielhaus nach Alter und nicht mehr nach Berufsstand ermäßigt: Für alle unter 30 Jahren und für alle über 60 Jahren gibt es vergünstigte Karten.

 

 

Burgtheater 

Universitätsring 2, 1010 Wien

Foto: © Die Welt im Rücken, Reinhard Werner

Und natürlich ist auch am Burgtheater aufregendes Theater zuhause. Für junge Leute lohnt sich besonders der Abstecher in die Spielstätte Akademietheater. Dort ist „paradies fluten“ des bereits erwähnten Thomas Köck noch länger zu sehen. Und auch bereits angelaufen, aber absolut einen Besuch wert: „Die Welt im Rücken“ von Jan Bosse. Das Solo des gefeierten Autors und derzeit wohl besten Schauspielers im deutschsprachigen Raum, Joachim Meyerhoff, nach einer Romanvorlage von Thomas Melle ist der Erfahrungsbericht einer unheilbaren Krankheit. Meyerhoffs fieberhaftes Spiel spaltet sich in drei Teilpersönlichkeiten eines bipolaren Mannes auf, der zwischen den Extremen Überanpassung und Individualitätstrotz durchdrehen muss. 

Für Studierende bis 27: Ein Kontingent ermäßigter Karten um 10 Euro ist sowohl im Vorverkauf als auch bei nicht ausverkauften Vorstellungen an der Abendkasse 30 Minuten vor Beginn der Vorstellung erhältlich. 

 

Also, wenn die Kastanien dir auf den Kopf fallen – auf ins Theater!

 

Headerbild: Volkstheater © www.lupispuma.com
Vorschaubild: © Burgtheater, Reinhard Werner

 

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